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Neue Zürcher Zeitung, Donnerstag, 7.März 1985:

„MEMENTO MORI-TATEN“

Konkrete Poesie von Matthias Schönweger

… Die sorgfältige graphische Gestaltung (die hier nicht wiedergegeben wird) weist die Texte als überwiegend optisch aus. Eine Vokabel steht zum Beispiel da und wird durch Variation ergründet; ein Wort, eine Wortgruppe sieht sich beim Wort genommen. Die Nachbarschaft eines Lauts, einer silbe, eines Worts setzt dann auf einmal bisher verdeckten Sinn frei; das wortmaterial entlässt durch eine geringe Veränderungeine überraschende und zumeist betroffen machende Aussage. Etwa:“Wie gehts dem Angebot / Danke der Nachfrage“; „Und sind wir erst einmal alle fortgeschritten / ist keiner mehr da“; „Dynamitnobel / geht die Welt zugrunde“; „DER geld SCHEIN TRÜGT nicht wahr“; „Die Herren der erSchöpfung“; „Ger germanisch manisch“; „Ich bin deutsch / Ich bin Deutscher / Ich bin am deutschesten“; „Gemischte Gedichte Gesichte“. Verbindung, Zusammenhang, Verwandtschaft tritt durch ein minimales Verschieben von Wortmaterial zutage Weder Symbol noch Stimmung noch Bild oder Abbild einer aussersprachlichen Wirklichkeit.
Schönwegers Mikrologie, Ideogramme, Konstellationen gründen sowohl im Zufügen oder Wegnehmen von Lauten,Silben, Wörtern als auch in klanglicher und damit semantischer Veränderung; so kommt es zur „FERNsehnSUCHT“ oder zu „GOEdichTHE“. Die Qualitäten und Fertigkeiten der interessanten Verfasser von konkreter Poesie sind auch die seinen: Wortwitz und Sprachhumor, Blickschärfe für verdeckte Schichten im Vokabular, Lust am Erhellen, Klären, Überraschen, Schockieren. Schalk äussert sich im Verändern von Redewendungen oder Sprichwörtern; doch verschärft sich das Spiel oft zum Angriff und die Ironie zum Sarkasmus. Bald trägt ein Ernst das Kostüm des Scherzes, bald hat sich das Antlitz der Trauer die Maske des Lachens vorgehängt. Selbst die konkrete Poesie scheint also der „moralischen Wirkung“ des Kunstwerks zu unterstehen.
Dominik Jost
Matthias Schönweger: Lesebuch. Memento Mori-Taten. Am Wegrand notiert. Selbstverlag, Meran 1984

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DER BÜCHER 1 von MATTHIAS SCHÖNWEGER

Innsbruck: Haymon 1998
225 S., m. Abb., geb. ISBN 3-85218-269-7.

 

Matthias Schönweger ist im Buch wie in seinen Performances eine in ihrer Art einmalige Verbindung von Sprachexperiment und Satire gelungen. Sein intelligentes Spiel mit sprachlichem Gleichklang und sprachlicher doppeldeutigkeit, mit Bild- und Wortzitat findet – im Deutschen (auch in der Südtiroler Mundart) wie im Italienischen – immer neue Anlässe, Anstöße, und die unendlichen Variationen seines Spielens werden nie endlos, so sehr sie einander zu gleichen scheinen.
Auch der neue Band – nicht nur ein brillantes, sondern auch ein schönes Buch – ist bei aller Konstanz der Verfahrensweise doch wiederum ein neuer Band, und nicht nur, weil Schönweger es fertig bringt, durch den Zusatz „Alle Rechte und Pflichten beim Autor“ noch die CIP-Einheitsaufnahme zu literarisieren und selbst ihre Regel zu unterlaufen. (Dafür ist dieses Buch – als sein erstes? – paginiert.) Und die Behauptung von der Konstanz der Verfahrensweisen ist gleich zu relativieren: Beispielsweise war Schönweger noch nie so fasziniert vom deutschen Kompositum wie diesmal, vor allem von der Möglichkeit, Grund- und Bestimmungswort zu vertauschen: „Menschen RASSE Menschen“ (S. 25 freilich grafisch ungenau zitiert).
Über die im Titel vorweggenommene Anordnung des Buches als Bibel-Kontrafaktur in Kapitel und Verse läßt sich streiten; schon das katholischen Kitsch zitierende Umschlagbild zeigt, daß der Autor die ihn umgebende Art von Religiosität zu einem Objekt seiner Satire macht, zu einem unter anderen. Neuartig ist die grafische Anordnung der Texte; sehr oft druckt Schönweger hier anders als in früheren Büchern mehrere Kurztexte auf einer Seite, was unterstreicht, daß es sich auch für ihn selbst mehr um sprachliche als um grafische Gebilde handelt; manche dieser Gebilde wirken so auch auf den Leser stärker aphoristisch als bisherige Texte des Autors.
Der grafische Aspekt des Buches, bis zur Wahl eines angenehm anzufühlenden grau getönten Papiers, ist dennoch für seine Wirkung wichtig. Denn das größere Gewicht der Sprache in diesem Band hat Schönweger gleich durch ein Gegengewicht ausbalanciert: durch bildzitate und Fotomontagen, die – wie der Umschlag, die ausgesparten Fahnen zwischen S.96 und 97 und der „Bildteil“ gegen Ende – in diesem Buch besonderes Gewicht haben, dann doch wieder ebenso viel Gewicht wie ddie Sprache.
Und trotz der bzw. gegen die Einteilung in Kapitel bleibt das Buch so chaotisch wie seine Texte oder besser: so widersprüchlich, so anarchistisch wie diese. Man kann sich darauf verlassen, daß es „Der Bücher 2 von Matthias Schönweger“ nicht geben wird – aber hoffentlich erscheint bald wieder ein so provokantes wie amüsantes Buch des literarischen Anarchisten Schönweger, der so überhaupt nicht ins betuliche Meran paßt und doch nur dort schreiben kann. Lesen und anschauen sollte man ihn allerdings überall.

Seite im Internet

von Sigurd Paul Scheichl
24. Februar1999

 

IN EIGENER SACHE

 

Buoch

Was bei der Tiere-Haltung kalkulierte Zuneigung, ist in der Buch-Haltung Soll&Haben.
Wie der eine mit Überlegung den Acker bestellt, rackert der andere mit selbiger Weitsicht auf schöngeistigem Feld, in der Zuversicht, dass auch ihm die Rechnung aufgeht, weil mit dem Wirt gemacht, wie aus der Saat eben die Ernte.
Hiebei handelt es sich um ein Buch über das Buch: Es sucht – und findet wie alle anderen auch, bis dato – seinen Ursprung und, im doppelten Sinn des Wortes, Ausgang im Wald, im Baum, im Holz als materia prima und begrenzte Ressource.
Gefällt das tropische Gehölz, geschlagen der Regenwald – soll vorkommen beim Wegschauen wie weiland das Schlachten der Büffel. Dem Aufforsten nachkommen was oder wer soll das. Nach und Nachforsten werden schon die Nachkommen, immer vorausgesetzt, es kommt dann überhaupt noch wer oder was nach.
Hier ein haptisches Stück Welt, zusammengesetzt aus verschiedenen Materialien (darunter auch Plastik-Tapetenmuster und die sollen nicht da draußen die Natur belasten, sondern eingehen in Museen und Bibliotheken und ebenda, wie es sich für die hohe und hehre Kunst gehört, ewig dauern), einmalige Auflage, nummeriert/signiert, handgesiebdruckt. Sinnlich das Ganze, auch zum Zwecke, sich über den Ausschnitt Welt wie er im Buche steht, zu Buche schlägt mit seinen engen Jahresringen, fülligen Seiten gleich, zu freuen – so lange wie (noch) möglich.

Genug geredet, geschrieben! Greifen wir zu, packen wir’s an.

msch,am soundsovielten